Annes e-mobiler Advent: 10. Dezember 2013

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Auto-Geschichten

Ein Auto ist nicht bloß ein praktisches Fahrzeug, sondern es wächst ein bisschen in die Familie hinein. Man spürt bei vielen, die über ihr Elektroauto schreiben, dass Herzblut dabei ist, zum Beispiel hier bei Volker, bei Nino, bei Jana oder vielen anderen.

Wie ein Auto bis ins hohe Alter lebendig hält, darüber erzählt Christiane Dreher eine anrührende Geschichte. Herzlichen Dank, dass ich sie hier veröffentlichen darf. Sie spielt in einem kleinen französischen Bergdorf bei Nizza.

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Robert ist hundert Jahre alt, er ist noch ganz klar im Kopf und abgesehen vom Autofahren hat er nur ein Vergnügen, nämlich auf dem Sofa vor dem Ofen zu liegen, ohne Unterlass kleine selbstgedrehte Zigaretten zu paffen, den Kater neben sich und den Fernseher vor sich. Robert hat den Ruf eines Frauenhelden, was einem, wenn man das wackelige Männchen mit dem Stock sieht, vielleicht ein Lächeln entlockt, oder ein kurzes hihi. Aber er selbst fühlt sich durchaus noch ganz männlich und springt wie eine Sprungfeder vom Sofa auf, wenn eine junge Frau hereinkommt (angesichts seines Alters sind wir ja alle jung), um bei den bisous, den Begrüßungsküsschen, auch ja der Erste zu sein. Und Robert ist in meine Freundin Martine verliebt. Meine Freundin ist knapp halb so alt wie er und sie könnte locker seine Enkelin sein, aber über den Altersunterschied sehen wir großzügig hinweg.

Martine lebte zwei Jahre in einem anderen Dorf an der Seite eines Mannes und kam jetzt allein wieder zurück. Als Martine damals das Dorf verließ, wurde Robert müde und krank und wollte nicht einmal mehr Auto fahren. Wir dachten damals, dass er den Winter vielleicht nicht überlebt, einen Zusammenhang mit Martine sah jedoch keiner, ein alter Mann wird wird eben irgendwann müde und krank. Seine Familie hat ihm damals dennoch den Lieferwagen, einen Peugeot 404, wieder hergerichtet, selbst vom TÜV wurde er abgenommen, weil es das einzige war, von dem sie hofften, dass es ihm Freude machen und Lebensmut geben könnte, um den Winter zu überstehen und um ihn im Frühjahr wieder hinauszulocken. Wirklich fahren lassen wollte ihn natürlich keiner mehr. Den Winter hatte er dann überlebt, raus ging er seither aber fast nicht mehr, und wenn, dann wirklich nur, um mal nach dem Auto zu kucken. Er setzte sich hinein, rauchte, machte aber zur Erleichterung aller keine Anstalten zu fahren.

Und seit kurzem ist Martine wieder im Dorf und Robert ist wie ausgewechselt; alle denken, das Herannahen seines doch hohen runden Geburtstages habe ihn ein bisschen aufgeputscht, aber ich bin sicher, es ist Martine. Seit Monaten ging er kaum vor die Tür, aber neulich stapfte er durchs halbe Dorf, um die Gymnastikmädchen im alten Schulhof zu beobachten (die “Mädchen” sind zwischen 9 und 79 Jahre alt!), zu denen jetzt auch wieder Martine gehört, und man sieht ihn jetzt öfters wieder unterm Nussbaum am anderen Ende des Dorfes sitzen, von wo er den Blick auf die Berge aber natürlich auch auf das Häuschen hat, in dem Martine jetzt wohnt. Tatsächlich folgte er ihr an einem ihrer ersten Tage hier im Dorf in ihr Schlafzimmerchen und bot an, gerne auszuhelfen, wenn denn Not an Mann sei.

Und Robert fährt wieder sein Lieferwägelchen! Immerhin ist es ja fahrbereit. Jetzt ist seine Familie dann doch nicht einverstanden und es gibt immer großes Geschrei, denn Robert fährt bevorzugt auf unbefestigten Feldwegen, piste heißt das hier, und sind die Sträßchen hier schon eng, so sind es les pistes noch einmal mehr, sie sind gerade so breit wie ein Auto und an einer Seite gehts in der Regel steil bergab.

Aber vorgestern Nachmittag ist er dann mal wieder ausgebüxt. Er hat den Moment ausgenutzt, als seine Tochter zum Pilze sammeln unterwegs war und sein schwerhöriger Schwiegersohn (immerhin auch schon Mitte siebzig) in seiner Werkstatt bastelte und offenbar nicht hörte, dass vor der Werkstatt ein Kleinlieferwagen gestartet wurde. Eigentlich wollte er eine Tour mit Martine machen, aber alle Überredungskunst nützte nichts, so dass er letztlich alleine eine Runde drehte und dann unterhalb des Dorfes zu der Obstbaumwiese fuhr, wo seine neunzigjährige Frau Birnen von den Bäumen rüttelte. So sammelten die beiden Alten Birnen und fuhren dann gemeinsam wieder nach Hause.

On va se faire engueuler, sagte seine Frau, die befürchtete, dass ihre Tochter ihnen beiden den Marsch blasen würde, aber er winkte nur ab, na wenn schon, Spass hat’s gemacht. Sie rumpelten aber doch vorsichtshalber von der Hinterseite an den Hof heran und parkten das Auto heimlich wieder da, wo es stand, luden die Birnen ab, und dann wackelten sie, jeder von einer anderen Seite kommend, ein wenig zeitversetzt nach Hause.

Dass alle im Dorf sie gesehen haben und von weitem das ruckelnde und ab und zu davonschießende Auto nervös beobachtet und zudem eiligst ihre Tochter alarmiert haben, war ihnen entgangen. Aber diese schwieg ausnahmsweise, als wisse sie von nichts, die beiden Alten sagten auch nichts, sie aßen abends nur mit roten Bäckchen und blitzenden Augen vergnügt ihre Suppe.

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Gute Zeit!

unterschrift-anne_kl

PS: Mehr solcher Geschichten aus dem kleinen französischen Dorf gibt es in Christiane Drehers Buch „Zwischen Boule und Bettenmachen“.

 

 

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